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Christine Bronner im Gespräch mit Dr. Anna Punke-Dresen

Wer steckt hinter dieser neuen Rubrik und was möchte sie für einen Mehrwert bieten?

Portraits über Menschen im gemeinnützigen Bereich findet man auch an anderer Stelle. Wir erinnern uns zum Beispiel an die „Köpfe“ in der Stiftungsbeilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit dieser Rubrik „Mensch des Monats“ möchten wir Menschen hinter einer Führungsposition besser kennenlernen. Dafür hat Dr. Anna Punke-Dresen diese Rubrik ins Leben gerufen.


Anna Punke-Dresen ist selbst seit über 15 Jahren in diversen Funktionen und Kontexten sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich im gemeinnützigen Sektor unterwegs - unter anderem als stellvertretende Leiterin des Kreises Junge Menschen und Stiftungen, Community Lead für MentorMe, Vorständin von Hamburger mit Herz e.V. und seit 2023 Leitung Fundraising der Abteilung Engagement & Partnerschaften bei der Hamburger Kunsthalle in Doppelspitze.


Schreiben und gemeinnütziges Engagement sind die beiden Pfeiler, die ihren Werdegang prägen.

Mit dieser monatlichen Rubrik möchte sie einige spannende Personen aus ihrem Netzwerk in persönlichen Gesprächen fragen, wie und warum sie sich selbst im gemeinnützigen Bereich engagieren. Welche Ehrenämter werden zusätzlich zum Hauptamt gepflegt? Was treibt sie dazu an? Was bedeutet Engagement für sie und welche Learnings und Botschaften bringt das für sie mit?

 
Carola von Peinen

Christine Bronner (links unten) ist Stifterin und Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM).

Als studierte Sozialpädagogin, Psychotraumatologin sowie zertifizierte Kinderschutzfachkraft gründete sie im September 2004 den ersten ambulanten Kinderhospizdienst in Bayern. Im April 2005 wurde dann die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München als zuständige Organisation für die Kinderhospizarbeit ins Leben gerufen. Die Stiftung betreut mit vier ambulanten Zentren bayernweit Familien mit schwerst- und lebensbedrohlich erkrankten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie Familien, in denen ein Elternteil schwer erkrankt ist und in denen Minderjährige leben. Zudem eröffnet die Stiftung AKM im September 2023 das erste (teil)stationäre Kinderhospiz in Niederbayern.

 

Liebe Frau Bronner, ich möchte in dieser Rubrik jedem*r Interviewpartner*in die gleiche Einstiegsfrage stellen: Wann und wo haben Sie sich zum allerersten Mal ehrenamtlich engagiert? Wie kamen Sie dazu und was war Ihre Motivation dahinter?


Mein erstes ehrenamtliches Engagement fand in meiner Kirchengemeinde statt. Ich habe festgestellt, dass es bei uns in der Gemeinde lange Zeit keine Kindergottesdienste oder vernünftige Familiengottesdienste gab. Später habe ich in Gottesdiensten aus der Bibel gelesen und so kam ich vorübergehend in den Pfarrgemeinderat. Über mein kirchliches Engagement und meine eigene Betroffenheit bin ich vor über 22 Jahren in der Hospizarbeit gelandet, habe vor 19 Jahren mit dem Aufbau der Kinderhospizarbeit begonnen und bin vor über fünf Jahren in die Ausschüsse des Landeskomitee der Katholiken berufen worden, was mir eine besonders große Ehre ist. Durch mein ehrenamtliches Engagement möchte ich dafür sorgen, dass sich in meinem Umfeld Dinge zum Positiven hin verändern.


Die Stiftung AKM betreut Familien, in denen ein Kind oder Jugendlicher lebensbedrohlich erkrankt ist, sowie Familien, in denen ein Elternteil schwer erkrankt ist und Minderjährige im Haushalt leben. Was hat Sie zu der Gründung vor 19 Jahren bewogen?


Mein Mann und ich haben als Betroffene selbst erfahren müssen, wie schwer es ist, ohne professionelle Hilfe so eine schwere Situation heile durchzustehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man aufgrund der hohen emotionalen Belastungen psychisch und physisch erkrankt, ist sehr hoch. Die Konsequenz ist, dass die Familie aufgrund der Traumatisierungen droht auseinander zu brechen. Wir selber waren trotz unseres sehr intakten sozialen Umfelds und einer gesicherten finanziellen Lage stark gefährdet, denn wir waren auf uns allein gestellt. Es gab keinerlei Strukturen, durch die wir Unterstützung erfahren durften. Wir haben das als Familie mit Mühe und Not überstanden. Umso wichtiger ist es, dass andere Menschen nun in so einer belastenden Situation Unterstützung erhalten. Denn es ist unerträglich, in dieser Not auf sich allein gestellt zu sein. Das ist sehr gefährlich. Und je prekärer die familiäre Lage, je weniger sicher und geschützt sie in einem soliden sozialen Umfeld ist, desto dramatischer und traumatischer ist die Situation. Und aus dieser traumatischen Belastung können wiederum Depressionen und Angststörungen entstehen, wenn hier keine Stabilisierung erfolgt.


Wenn Sie im nächsten Jahr Ihr Jubiläum feiern und dann zurückblicken: Was sind die wichtigsten Learnings? Haben Sie Do's und Dont's, die Sie mit unseren Leser*innen teilen möchten?


Wichtige Learnings sind für mich: Man braucht für alles, was man im Bereich Gesundheit und Sozialwesen erreichen möchte, eine solide finanzielle Basis und ein umfangreiches Netzwerk, sonst scheitert man. Und man braucht einen sehr langen Atem. Zudem sollte man sich nie darauf verlassen, dass man von der Politik und den Krankenkassen immer nur gestärkt und unterstützt wird. Zugleich sollte man in unserem Bereich jedoch nichts anfangen, ohne sich mit der politischen Umgebung und den Krankenkassen abgestimmt zu haben. Sonst stößt man auf wenig Wohlwollen.

Mein „don´t“ ist ganz klar: Nie aufgeben! Man geht immer zwei Schritte vor und drei Schritte zurück. Am Ende ist es aber doch immer ein halber Schritt nach vorne. Aber mit mehr sollte man nicht rechnen. Das heißt, wenn man in diesem Bereich an sein Ziel kommen und wirklich helfen möchte, dann muss man viele Jahre einkalkulieren und entsprechend Zeit, Geld, Aufwand und Kraft. Man sollte also erst anfangen, wenn man über eine gewisse solide Grundlage verfügt, die die ersten zehn Jahre absichert.


Was haben Sie seit der Gründung geschafft, was würden Sie gerne in den nächsten 20 Jahren erreichen?


Wir haben seit der Gründung geschafft, dass wir vier ambulante Zentren in Bayern aufgebaut haben und gerade dabei sind, zwei von vier teil- und vollstationären Kinderhospizen in Bayern aufzubauen. Eins davon eröffnen wir jetzt Mitte September im niederbayerischen Eichendorf. Das zu erreichen, hat uns allein zwölf Jahre gekostet. Und die ambulanten Strukturen haben uns noch viel mehr Arbeit abverlangt. Allein dafür, dass die Kinderhospizarbeit in Bayern ein eigenes Standing bekommen hat und zumindest zum Großteil in Bayern nicht mehr in der Erwachsenenhospizarbeit mitläuft. Wir haben also mit dazu beigetragen, dass sich die Versorgung von Familien mit schwerkranken Kindern grundlegend verbessert hat. Wir haben auch mitgewirkt bei der Erschließung für pädiatrische Palliativteams und bei der Verbindung von Kinderhospizarbeit und der sozialmedizinischen Nachsorge. Das gab es vorher nicht und das haben wir alles gemeinsam mit unseren Kooperations- und Netzwerkpartnern möglich gemacht. Wir haben zudem die Angehörigenberatung und Krisenambulanzen aufgebaut, eine App entwickelt, wir sind in die bundesweite Forschung gegangen und beginnen gerade ein Pilotprojekt aufzubauen, um die ambulante wie auch teilstationäre Versorgung zu optimieren und somit sowohl Familien als auch Netzwerkpartner, insbesondere Kliniken und ambulante Pflege, zu entlasten. Indem wir im Rahmen des Fachkräftemangels dafür sorgen, dass Leistungen gebündelt werden und dadurch Personal gespart wird, das an andere Stelle wieder eingesetzt werden kann. Das alles konnten wir nur nach dem Motto „Gemeinsam statt einsam“ schaffen, denn so etwas gelingt nur durch ein konstruktives Miteinander. Ohne das Vertrauen der Kollegen, ohne die Unterstützung durch das Netzwerk und ohne die Einbindung in alle Strukturen, hätten wir das nicht geschafft.


In den nächsten 20 Jahren wollen wir erreichen, dass es in ganz Deutschland ambulante Zentren gibt, die betroffene Familien beraten, die Krisenbetreuung und teilstationäre Versorgung für die schlimmsten Situationen anbieten, so dass die prekäre Fachkräftesituation entlastet wird, denn die wird sich in den nächsten zehn Jahren noch verschlimmern. Bis dahin muss man hoffen, dass politische Maßnahmen ergriffen worden sind, die die Situation verbessern und die greifen. Dazu gehört aber auch die Bereitschaft der Krankenkassen, sich zu bewegen und kompromissbereiter zu werden. Gesundheit ist keine Frage der sozialen Randgruppen, sondern sie betrifft uns alle.


Sie kümmern sich mit Ihrem Team sowohl um die erkrankten Familienangehörigen als auch um die belasteten Angehörigen (Eltern, Partner und Geschwisterkinder), die im Hintergrund viel durchmachen müssen. Wie schaffen Sie es, mit diesen schweren Themen rund um Kinderhospizarbeit umzugehen?


Um ehrlich zu sein: Die Kinderhospizarbeit ist sicher manchmal belastend und zum Teil auch sehr traurig. Aber eigentlich ist die Arbeit mit den Familien das, was uns alle antreibt und motiviert und nicht das, was uns herunterzieht. Wir lieben unsere Familien und wir bewundern sie. Wir haben großen Respekt vor ihnen und sind gerne an ihrer Seite. Denn sie leisten alle Großartiges, die Patienten insbesondere. Vor allem dann, wenn sie noch minderjährig sind und ihre ganze Familie stützen. Aber auch, wenn Vater und Mutter schwerkrank sind, ist es bemerkenswert, wie die minderjährigen jungen Pflegenden das System stützen. Deshalb ist es keine Frage der Belastung durch unsere Arbeit in den Familien. Im Gegenteil: Das motiviert und stärkt uns, weil da auch viel Dankbarkeit zurückkommt. Die Belastung liegt darin, dass wir um die Gelder betteln müssen, die für diese wichtige Arbeit notwendig sind. Wir müssen ständig um unsere Existenz ringen, da wir im ambulanten Bereich zu 70 Prozent und im stationären Bereich zu 30 Prozent auf Spenden angewiesen sind. Das ist ein Zustand, der indiskutabel ist. Kinderhospize müssten ambulant mindestens zu 70 Prozent und stationär zu 95 Prozent gefördert sein. Das ist das, was uns Tag für Tag fertig macht und nicht mehr schlafen lässt. Wir leben von der Hand in den Mund und kämpfen ums Überleben. Und das ist bei einer Arbeit, die wir leisten, unzumutbar.



Wie tragen Sie Ihre eigene Engagementmotivation innerhalb Ihrer NGO weiter?


Ich stecke die anderen an und dann stecken die sich gegenseitig an. Das würde nicht funktionieren, wenn das alles nur an mir hängen würde. Und dieses Engagement, das Mithelfen, ist die Grundlage dafür, dass wir auch nach außen andere anstiften, es uns nachzutun. Ich glaube, es ist gar nicht mein Engagement alleine, sondern die Situation der Familien, die alle antreibt und die bewirkt, dass alle dableiben und sich für das Thema einsetzen. Es ist ein zähes Ringen, speziell auch auf finanzieller Seite, da muss jeder mithelfen und durchhalten. Für die, die gehen, habe ich größtes Verständnis, weil es hoch belastend ist. Aber nur durch die, die bleiben und nicht aufgeben, haben wir eine Chance, dass es am Ende auch gelingt, die Situation der Familien qualitativ hochwertig zu verändern. Die Not der Familien ist der Grund für alle, diese Arbeit zu tun.


Welche Netzwerke bereichern Sie bis heute? Wie erreichen Sie Verbündete und Menschen, die Ihre Arbeit unterstützen möchten?


Wir haben unendlich viele Netzwerke, ohne diese könnte die Kinderhospizarbeit nicht stattfinden. Die kann ich alle im Einzelnen gar nicht nennen. Das sind natürlich der Deutsche Kinderhospizverein e.V., der Bundesverband Kinderhospiz e.V, sowie der Bundesverband Bunter Kreise e.V. und die Arbeitsgemeinschaft der SAPV. Aber eben noch viele mehr. Es ist unglaublich wichtig und entscheidend bei all diesen Netzwerken, miteinander zu arbeiten und sich gegenseitig zu helfen. Nur so geht für alle Beteiligten etwas voran. Denn es geht ja am Ende darum, dass wir mit allen Netzwerken, die wir haben, die Familien unterstützen und entlasten. Und wie erreichen wir Verbündete? Durch das fachliche Wissen einerseits und durch öffentliche Aufklärung andererseits. Und da ist auch ein gewisses Maß an Spendensammeln hilfreich, weil man damit das Thema in die Gesellschaft trägt.

 

Und zum Schluss: Drei Antworten in je einem Satz!


Welches Buch haben Sie bzgl. Ehrenamt oder Engagement gelesen, das Sie nachhaltig beeindruckt hat?

Es sind zahlreiche Bücher, v.a. auch viel qualitativ hochwertige Fachliteratur, aber zwei Bücher beeindrucken mich seit Beginn ganz besonders: „Oskar und die Dame in Rosa“ und „Eine Welt für Madurer“.


Wenn Sie einen Wunsch für den gemeinnützigen Sektor frei hätten, welcher wäre das?

Eine ordentliche Finanzierung für alle in der spezialisierten Versorgung von Familien mit schwerkranken Kindern oder Eltern, wie zum Beispiel die Kinderhospizarbeit, und ein gelingender Zusammenhalt.


Was möchten Sie unseren Leser*innen mit auf den Weg geben? Was ist Ihr Credo?

Kinder gehören in die Mitte der Gesellschaft, selbstverständlich auch wenn sie krank sind, und die Kinderrechte ins Grundgesetz.


 
Carola von Peinen

Christine Bronner

Geschäftsführender Vorstand

AKM Stiftung

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