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Matthias Lang im Gespräch mit Dr. Anna Punke-Dresen

  • jschumacher84
  • 1. Sept.
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 14. Sept.

Wer steckt hinter dieser neuen Rubrik und was möchte sie für einen Mehrwert bieten?

Portraits über Menschen im gemeinnützigen Bereich findet man auch an anderer Stelle. Wir erinnern uns zum Beispiel an die „Köpfe“ in der Stiftungsbeilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit dieser Rubrik „Mensch des Monats“ möchten wir Menschen hinter einer Führungsposition besser kennenlernen. Dafür hat Dr. Anna Punke-Dresen diese Rubrik ins Leben gerufen.


Anna Punke-Dresen ist selbst seit über 15 Jahren in diversen Funktionen und Kontexten sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich im gemeinnützigen Sektor unterwegs - unter anderem als stellvertretende Leiterin des Kreises Junge Menschen und Stiftungen, Community Lead für MentorMe, Vorständin von Hamburger mit Herz e.V. und seit 2023 Leitung Fundraising der Abteilung Engagement & Partnerschaften bei der Hamburger Kunsthalle in Doppelspitze.


Schreiben und gemeinnütziges Engagement sind die beiden Pfeiler, die ihren Werdegang prägen.

Mit dieser monatlichen Rubrik möchte sie einige spannende Personen aus ihrem Netzwerk in persönlichen Gesprächen fragen, wie und warum sie sich selbst im gemeinnützigen Bereich engagieren. Welche Ehrenämter werden zusätzlich zum Hauptamt gepflegt? Was treibt sie dazu an? Was bedeutet Engagement für sie und welche Learnings und Botschaften bringt das für sie mit?

Carola von Peinen
Matthias Lang war jahrelang Vorstand der Kinderarche Sachsen e.V. Fotos: Kinderarche

Matthias Lang engagierte sich 40 Jahre in der Kinder- und Jugendhilfe. Im Jahr 1992 war er unter den Gründungsmitgliedern des Vereins Kinderarche Sachsen, 2004 übernahm er den Vorstandsvorsitz und entwickelte den Verein zusammen mit hochengagierten Kolleginnen und Kollegen zu einem professionellen, angesehenen, großen Kinder- und Jugendhilfeträger. Die Kinderarche Sachsen hat Standorte in sieben Landkreisen des Freistaates Sachsen sowie in Dresden, betreibt über 40 Angebote für etwa 1.600 Kinder, Jugendliche und Familien und beschäftigt etwa 600 Mitarbeitende im Bereich der Kindertagesstätten, ambulanten, teilstationären und stationären Kinder- und Jugendhilfe. Im April übergab er den Staffelstab an seine Nachfolgerin und ging in den Ruhestand.

Lieber Matthias Lang, ich möchte in dieser Rubrik jedem*r Interviewpartner*in die gleiche Einstiegsfrage stellen: Wann und wo haben Sie sich zum allerersten Mal ehrenamtlich engagiert?


Ehrenamtlich habe ich mich erstmals in meiner Jugend mit etwa 15 Jahren in einem Laientheater und später bei der Freizeitarbeit mit Kindern engagiert. Auslöser war mein Deutschlehrer, der mir den Rat gab, Theater zu spielen, und mein Interesse an der deutschen Sprache und an den Menschen.


Vor kurzem haben Sie den Staffelstab an Ihre Nachfolgerin Barbara Gärtner weitergegeben. Wenn Sie zurückblicken: Was hat Sie damals bewogen, die Kinderarche Sachsen mitzugründen? Und wie baut man solche eine NGO auf?


Die Jahre 1989, 1990 und 1991 waren in Ostdeutschland von einem riesigen Umbruch geprägt. Alte Gewissheiten, bisherige Routinen, fachliche Standards in der Pädagogik und vieles mehr brachen weg. Wir mussten und wollten uns neu orientieren. Uns war sehr schnell klar (eigentlich schon ab den 80er Jahren), dass DDR-Heimerziehung keine gute Perspektive für junge Menschen darstellt: große Gruppen von bis zu 18 und mehr jungen Menschen, Kollektiverziehung, wenig bis keine Individualität.

Damals habe ich mich gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Leitungskräften auf den Weg nach Bayern zu anderen diakonischen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen gemacht. Wir wollten uns anschauen, wie Heimerziehung, wie Jugendhilfe geht. Gleichzeitig hat der öffentliche Träger der Jugendhilfe, die Landkreise und Städte in Sachsen, angeregt, neue Trägerstrukturen aufzubauen.

Gemeinsam mit der sächsischen Diakonie und mit Unterstützung eines freien Trägers aus Bayern haben wir uns deshalb 1992 entschlossen, völliges Neuland zu betreten und selbst einen Kinder- und Jugendhilfeträger zu gründen.

Wir wollten eigenverantwortlich und selbstbestimmt bestmögliche Entwicklungsbedingungen für die uns anvertrauten Kinder, Jugendlichen und Familien schaffen. Wichtig war mir neben der hohen Fachlichkeit und Professionalität in der Pädagogik auch eine klare Corporate Identity. Dabei ging es mir um die „Persönlichkeit“ der Kinderarche Sachsen, mit einem von innen nach außen heraustretenden Selbstverständnis, basierend auf einem sichtbar gelebten Wertesystem und einer ausgeprägten diakonisch-humanistischen Unternehmenskultur.


Welche Themen haben die Kinderarche bislang in 2025 beschäftigt und was kommt in diesen turbulenten Zeiten als nächstes auf Sie zu?


Aus unserer Sicht geraten junge Menschen und Familien immer mehr aus dem Blickpunkt der Gesellschaft. Eine hohe Kinderarmut in Deutschland, der enorme Geburtenrückgang in Sachsen, die Streichung von öffentlichen Mitteln für die Kinder- und Jugendhilfe, eine stockende Reform des Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, immer mehr bürokratische Hürden für die Betreuung von jungen Menschen sind nur einige Beispiele dafür.

Diese Probleme wollen und müssen wir als großer sächsischer Träger der Jugendhilfe benennen und angehen. Nach wie vor ist für uns die hohe Fachlichkeit in allen unseren Angeboten sehr wichtig. Wir engagieren uns für einen besseren Schlüssel in der Kita-Betreuung in Sachsen, wir bemühen uns, trotz der enormen bürokratischen Hürden die Inklusion in der Heimerziehung voran zu bringen. 

Neben der wichtigen täglichen Arbeit ist es uns ein großes Anliegen, Kinder und ihre Anliegen in der Gesellschaft wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Dafür engagieren wir uns mit zahlreichen Aktionen, in Kooperation mit anderen Trägern und in vielen Gesprächen mit Netzwerkpartnern und politischen Entscheidungsträgern. Denn es kann nur gelingen, wenn die Probleme von der Politik auch wirklich angefasst werden. Wir kämpfen da weiter.


Was wünschen Sie sich für die Arbeit von gemeinnützigen Organisationen in Sachsen?

 

Hier wünsche ich mir mehr staatliche Unterstützung und Anerkennung. Das gilt für mich natürlich besonders für die sozial tätigen Organisationen. Wir brauchen für unsere Arbeit ausreichend finanzielle Mittel und viel, viel weniger Bürokratie bei Anträgen, Abrechnungen, bei all den Aufgaben, die wir für die Gesellschaft übernehmen.


Wie wichtig sind für Sie Kooperationen und Netzwerke?


Sehr wichtig! Ich war in vielen Arbeitsgruppen, in Gremien und Veranstaltungen, beim Evangelischen Erziehungsverband Deutschland, im Rahmen der Diakonie Sachsen und Deutschland unterwegs, in politischen Runden aktiv. Nur wenn wir uns als gemeinnützige Organisationen aktiv einbringen, von unseren Aufgaben, Sorgen und Problemen berichten und Lösungsvorschläge bringen, können wir etwas verändern.

Schon in der Bibel heißt es ja: „Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.“ (Mt 5,15) oder – etwas zeitgemäßer: „Stärke und Erfolg der Sozialen Arbeit lassen sich am Grad ihrer öffentlichen Präsenz ablesen: Wer ein gutes Image aufbaut, weiter entwickelt und pflegt, erfährt große Nachfrage, wer aber ohne Konturen bleibt und sich öffentlich passiv verhält, wird kaum beachtet. Soziale Initiativen und Einrichtungen müssen deshalb auf die Gesellschaft zugehen und Kontakt zu den Menschen aufnehmen (…)“ (aus Ewald Schürmann: Öffentlichkeitsarbeit für soziale Organisationen)


Was beschäftigt Sie im Ruhestand?


„Ruhestand“ ist das falsche Wort, mir gefällt „Unruhestand“ besser. Ich habe keine neue Beschäftigung im klassischen Sinn aufgenommen, aber meine Tage sind trotzdem mehr als ausgefüllt.

Als Kurator bin ich in zwei Stiftungen ehrenamtlich tätig, arbeite in einem Verein und bei Rotary aktiv mit. Meinem langjährigen Hobby Weinbau – ich habe einen kleinen Weinberg in der Lößnitz – kann ich jetzt mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmen. 

Seit vielen Jahren hat mich die Pilgerleidenschaft gepackt. Ich war auf vielen (Jakobs-) Wegen in Europa unterwegs und werde nun auch neue Pilgerherausforderungen suchen.

Außerdem habe ich mir einen langgehegten Traum erfüllt – die Haltung von fünf Hühnern. Es sind spannende Tiere, die schlau, empathisch, sozial, neugierig und schön anzusehen sind.

Nicht zuletzt kann ich jetzt auch meiner Frau, meinen Kindern, Enkelkindern und Freunden mehr Zeit schenken. 

Alles in allem – ich bin glücklich und gespannt, was mir die Zukunft bringen wird. Getreu meinem Lieblingsspruch: „Lege die Vergangenheit in Gottes Hände zurück, überlasse ihm die Zukunft und lebe jeden Tag, wie er kommt, in Fülle.“

Und zum Schluss: Drei Fragen & Antworten

Welches Buch haben Sie zum Thema Ehrenamt oder Engagement gelesen, das Sie nachhaltig beeindruckt hat?

Ich sage gern: Aller guten Dinge sind drei. Deshalb erstens „Sozialmanagement“ von Albrecht Müller-Schöll – für mich die Grundlage der fachlichen Arbeit von NPOs, zweitens „Menschen führen – Leben wecken“ vom Benediktinerpater Anselm Grün – eine Anleitung für Führungskräfte, wie sie menschlich und ehrlich, mit Kreativität, Phantasie, (Nächsten-)Liebe und Klarheit sich selbst und Mitarbeitende führen und entwickeln, und drittens „Öffentlichkeitsarbeit für soziale Organisationen“ von Ewald Schürmann, denn ohne aktives Zugehen auf die Gesellschaft funktioniert unsere Arbeit nicht.

 

Wenn Sie einen Wunsch für den gemeinnützigen Sektor frei hätten, welcher wäre das?

Ich wünsche mir sehr, dass Fundraising nicht als „Ausfallbürge“ für das Versagen der öffentlichen Hand, sondern als eine Möglichkeit zur zusätzlichen Unterstützung der gemeinnützigen Organisationen angesehen wird. Der Staat kann nicht alles leisten, aber nur von Fundraising kann eine gemeinnützige Organisation auch nicht leben.

 

Was möchten Sie unseren Leser*innen mit auf den Weg geben? Was ist Ihr Credo?

Einer meiner Lieblingssätze in der Bibel ist: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Gerade in NGOs passiert es, dass man sich vor Sorge um den Nächsten selbst vergisst. Dann kann man sich aber nicht mehr gut um den Nächsten kümmern. Es ist mir deshalb immer sehr wichtig gewesen, dass sich auch unsere Mitarbeitenden wohl und wertgeschätzt fühlen, weil sie nur dann gut für die Kinder sorgen können. Ich habe gern von unserer „Kinderarche-Familie“ gesprochen und damit ausdrücklich auch die Mitarbeitenden gemeint.

Carola von Peinen

Matthias Lang

ehem. Vorstand

Kinderarche Sachsen e.V.

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