Steckt das Fundrasing in der Krise?
- jschumacher84
- 24. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Von Andreas Schiemenz
Krisen bestimmen unsere Wahrnehmung heute stärker als je zuvor. Was lange Zeit vor allem die Arbeit gemeinnütziger Organisationen prägte – die Auseinandersetzung mit nationalen und globalen Notlagen –, trifft nun auch die Organisationen selbst. Ihre Akzeptanz und Legitimität geraten zunehmend unter Druck.

Die Krise im Fundraising – fünf Thesen
Fundraising befindet sich im Umbruch. Lange Zeit war die Spendenbereitschaft in Deutschland und Europa stabil, doch inzwischen zeigen sich deutliche Risse im System. Inflation, gesellschaftliche Veränderungen und gestiegene Erwartungen setzen den Organisationen zu. Fünf Thesen verdeutlichen, warum das Fundraising heute in einer Krise steckt.
These 1: Sinkende Spendenzahlen und weniger Spender*innen
Die Zahl der Menschen, die regelmäßig spenden, nimmt spürbar ab. Zwar liegt das Spendenvolumen noch im zweistelligen Milliardenbereich, doch 2023 sanken die Gesamteinnahmen um rund 1,6 Milliarden Euro. Besonders die Spendenquote – also der Anteil der Bevölkerung, der überhaupt spendet – ist auf den niedrigsten Wert seit Beginn der Erhebungen gefallen. Inflation und steigende Lebenshaltungskosten verschärfen diesen Trend. In dieser Situation wäre private Finanzierung durch Spenden wichtiger denn je. Doch das Gegenteil passiert: Organisationen geraten zunehmend in die Kritik, das Vertrauen sinkt, und die Zahl der Spender*innen geht zurück. Laut Bilanz des Helfens hat sich die Spendenquote in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren von rund 50 % auf 25 % halbiert. Damit stehen gemeinnützige Projekte unter erheblichem Druck – in einer Zeit, in der Polarisierung, Kriege und wachsende soziale Spannungen die Herausforderungen seit dem Zweiten Weltkrieg auf ein neues Niveau heben.
These 2: Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsprobleme
Nicht erst die 551 parlamentarischen Anfragen an die Bundesregierung am Ende der letzten Legislaturperiode stellten die Rolle gemeinnütziger Organisationen infrage. Auch der Europäische Rechnungshof äußerte Kritik an der Förderung von NGOs. Ursprünglich richtete sich dieser Gegenwind gegen einzelne politisch aktive Akteure, doch inzwischen hat er den gesamten Sektor getroffen.
Spenden setzt Vertrauen voraus – doch genau daran mangelt es zunehmend. Kritische Medienberichte, Social Media und Skandale haben die Sensibilität erhöht. Immer öfter wird gefragt: Kommt mein Geld tatsächlich an? Wie effizient arbeitet die Organisation? Mehr als die Hälfte der Nichtspender*innen nennt fehlende Transparenz als Hauptgrund, sich nicht zu beteiligen.
These 3: Überalterung in Organisationen und Spenderstruktur
Das Fundraising leidet unter einer doppelten Überalterung: in den Strukturen der Organisationen ebenso wie in der Spenderbasis. Die größten Summen stammen nach wie vor von Menschen über 60, während Jüngere zwar spenden, aber eher punktuell und digital. Ohne eine gezielte Ansprache der nächsten Generation droht ein Bruch.
These 4: Fehlende Flexibilität und Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln
Wirtschaftliche Schocks, geopolitische Konflikte oder Naturkatastrophen wirken sich direkt auf die Spendenbereitschaft aus. Viele NGOs sind dafür nicht gerüstet. Starre Strukturen und die Abhängigkeit von wenigen Einnahmequellen verhindern schnelle Reaktionen. Wer seine Strategien nicht diversifiziert, verliert im Ernstfall den Handlungsspielraum.
Noch schwerer wiegt eine strukturelle Schwäche: die enge Abhängigkeit von staatlicher Förderung. Öffentliche Mittel werden knapper, erste Bundesländer kürzen bereits radikal ihre Budgets. Die Streichung des Kulturetats in Berlin ist nur ein Beispiel. Diese Abhängigkeit bedroht nicht nur die finanzielle Stabilität, sondern widerspricht auch dem Anspruch von NGOs, unabhängig vom Staat agieren zu können – ein doppeltes Dilemma.
These 5: Wachsende Erwartungen an Wirkung und Ethik
Es reicht nicht mehr, Gutes zu tun – die Gesellschaft erwartet den Nachweis konkreter Wirkung. Spender*innen wollen Zahlen, Ergebnisse und sichtbare Veränderungen. Auch ethische Standards spielen eine wachsende Rolle: Transparenz, nachhaltiges Wirtschaften und verantwortungsvolle Strukturen sind heute Pflicht.
Tragisch ist, dass viele Organisationen den nötigen Impuls zu mehr Solidarität nicht aussenden können. Ihre Budgets sind seit Jahren knapp kalkuliert, und die jüngsten Kürzungen treffen ausgerechnet die Bereiche Marketing, Kommunikation und Fundraising. Damit wird die Möglichkeit, private Spenden zu mobilisieren, zusätzlich geschwächt. Es ist ein Teufelskreis: Ohne Geld kein Fundraising, ohne Fundraising kein Geld.
Fazit: Hoffnung trotz Kürzungen
Dass es auch anders geht, zeigen die großen spendensammelnden Werke. Sie konnten ihre Einnahmen zuletzt steigern, weil sie frühzeitig in Fundraising investiert und starke Marken aufgebaut haben. Heute profitieren sie von diesen Weichenstellungen. Für kleinere Organisationen könnte dies ein Vorbild sein – wenn sie den Mut finden, in Zeiten der Krise bewusst in Fundraising zu investieren.
Das Fundraising steht an einem Scheideweg. Sinkende Spendenzahlen, Vertrauensprobleme, demografische Verschiebungen, starre Strukturen und hohe Erwartungen zwingen die Branche zum Umdenken. Wer künftig erfolgreich sein will, muss transparenter, flexibler und digitaler werden – und die nächste Generation konsequent für langfristiges Engagement gewinnen.

Andreas Schiemenz
Philanthropie-Experte und Fundraising-Profi






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