Susanne Kertelge im Gespräch mit Dr. Anna Punke-Dresen
- jschumacher84
- 3. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Juni
Wer steckt hinter dieser neuen Rubrik und was möchte sie für einen Mehrwert bieten?
Portraits über Menschen im gemeinnützigen Bereich findet man auch an anderer Stelle. Wir erinnern uns zum Beispiel an die „Köpfe“ in der Stiftungsbeilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit dieser Rubrik „Mensch des Monats“ möchten wir Menschen hinter einer Führungsposition besser kennenlernen. Dafür hat Dr. Anna Punke-Dresen diese Rubrik ins Leben gerufen.
Anna Punke-Dresen ist selbst seit über 15 Jahren in diversen Funktionen und Kontexten sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich im gemeinnützigen Sektor unterwegs - unter anderem als stellvertretende Leiterin des Kreises Junge Menschen und Stiftungen, Community Lead für MentorMe, Vorständin von Hamburger mit Herz e.V. und seit 2023 Leitung Fundraising der Abteilung Engagement & Partnerschaften bei der Hamburger Kunsthalle in Doppelspitze.
Schreiben und gemeinnütziges Engagement sind die beiden Pfeiler, die ihren Werdegang prägen.
Mit dieser monatlichen Rubrik möchte sie einige spannende Personen aus ihrem Netzwerk in persönlichen Gesprächen fragen, wie und warum sie sich selbst im gemeinnützigen Bereich engagieren. Welche Ehrenämter werden zusätzlich zum Hauptamt gepflegt? Was treibt sie dazu an? Was bedeutet Engagement für sie und welche Learnings und Botschaften bringt das für sie mit?

Nach dem Studium der Wirtschaftspsychologie in Lüneburg und Neu Delhi, einem Master in internationaler Wirtschaft und Entwicklungshilfe in Kopenhagen und Costa Rica fing Kertelge 2015 in der Konzernstrategie der Otto Group Holding in Hamburg an. Dort war sie Teil des Teams, das den Otto Group-weiten Kulturwandel 4.0-Prozess entwickelte. Anschließend war sie als Referentin des Vorstandsvorsitzenden der Otto Group, Alexander Birken, tätig und leitete später Teams im Corporate Responsibility Bereich der Otto Group Holding rund um die Themen Nachhaltigkeit & Gesellschaft, digitale Verantwortung sowie nachhaltigere Produkte. Seit Herbst 2023 baut Susanne Kertelge als geschäftsführende Vorständin die neu gegründete Michael Otto Foundation for Sustainability auf.
Liebe Susanne Kertelge, ich möchte in dieser Rubrik jedem*r Interviewpartner*in die gleiche Einstiegsfrage stellen: Wann und wo haben Sie sich zum allerersten Mal ehrenamtlich engagiert? Wie kamen Sie dazu und was war die Motivation dahinter?
Mit acht Jahren bin ich das erste Mal mit einer Freundin in das zweiwöchige Sommerlager mitgefahren, das von der Jugendarbeit meiner Gemeinde auf Ameland organisiert wurde. Die vielen Sommer, die ich daraufhin auf der Insel verbringen durfte, waren immer wieder ein absolutes Highlight – ich habe das Gemeinschaftsgefühl und die tolle Dynamik untereinander genossen: Es war eine Zeit voller Leichtigkeit, in der wir gemeinsam Tabu spielten, uns vergeblich im Jonglieren übten oder uns knallbuntes Slush-Eis im Dorf gekauft haben. Daher war es für mich selbstverständlich, dass ich mich mit 15 Jahren auch in der jugendbetreuenden Rolle ausprobieren wollte und als Teil des Küchenteams in einem Zeltlager engagierte. Zum Glück waren wir auf Nudeln mit Soße, Stockbrot und Stullen spezialisiert – in dem Alter waren meine Kochkünste nämlich noch sehr begrenzt.
Sie bauen seit Ende 2023 die „Michael Otto Foundation for Sustainability“ auf. Wie kann man sich diesen Anfangsprozess vorstellen? Wie sind Sie in das Team der Stiftung gekommen? Was war Ihr Antrieb, um die Idee anzugehen?
Ich hatte schon immer Freude daran, Unbekanntes zu entdecken, möglichst viel zu lernen und gemeinsam mit anderen etwas Neues zu entwickeln – was ich beispielsweise sowohl während des Studiums mit meinen Auslandsaufenthalten in Indien und Costa Rica als auch in meinen beruflichen Rollen verwirklichen konnte. Als sich 2023 die Möglichkeit ergab, eine neue Stiftung für Dr. Michael Otto aufzubauen, war das die einmalige Chance, mein großes Interesse an gesellschaftlichen Themen mit einer unternehmerischen Denkweise zu verbinden. So startete ich im Herbst 2023 mit der druckfrischen Stiftungssatzung in ein aus meiner Sicht bis heute anhaltendes Abenteuer. Denn neben der Entwicklung der Strategie für die inhaltlichen Handlungsfelder der Stiftung, brauchte ich nicht nur einen Laptop und professionelle Unterstützung bei der Buchhaltung – ich habe mir auch die Frage gestellt, welche Art von Organisation eine Stiftung heute haben sollte, damit sie möglichst wirksam in Zusammenarbeit mit ihren Partnern arbeiten kann. Als eine meiner ersten Aktivitäten habe ich daher zum Hörer gegriffen und Kontakte aus anderen Stiftungen angerufen, um von ihnen zu erfahren, bei welchen inhaltlichen Themen sie besonderen Förderbedarf sehen, wie sie als Stiftung agieren und was sie mir aus ihrer Erfahrung empfehlen würden für den Aufbau einer neuen Stiftung. Ich habe von den Kolleg:innen wichtige Impulse bekommen und aus einem der Gespräche hat sich sogar unser erstes Förderprojekt ergeben.
Was haben Sie seit der Gründung geschafft, was würden Sie gerne in den nächsten Jahren erreichen? Was haben Sie noch vor?
Wir haben uns von Anfang an aktiv in Projekten engagiert und konnten so für uns nicht nur durch diverse Gespräche und Recherchen, sondern auch durch praktische Erfahrungen herausarbeiten, in welchen Bereichen wir als Stiftung die Entwicklung und Umsetzung von neuen Lösungsansätzen unterstützen wollen. Das Fokussieren ist dabei wichtig: Wir haben uns dafür entschieden, dass wir uns in der ersten Phase auf Aktivitäten in zwei von vier unserer Handlungsfelder konzentrieren, jeweils auch dort mit einem thematischen Schwerpunkt. Gleichzeitig haben wir als neue Stiftung die Chance, dass wir durch einen Test&Learn-Ansatz ausprobieren, welche Art von Förderung und Partnerschaften aus unserer Sicht bestmöglich Wirkung entfalten können und welchen Beitrag wir in Projekten durch Sparring, Netzwerk und Fachexpertise leisten können. Wir haben das Glück, dass wir bereits einige sehr spannende Projektpartnerschaften schließen konnten, in denen wir weitere Erfahrungen sammeln und auch selbst mal die Ärmel hochkrempeln.
Für uns als Team wünsche ich mir, dass wir uns diese Test&Learn-Mentalität und die dynamische Vorgehensweise in Kombination mit einem strategischen Fokus beibehalten – und auch mutig Dinge lassen, wenn sie nicht den erhofften Mehrwert generieren.
Was sind die wichtigsten Learnings bislang?
Auch wenn es wahrscheinlich keine Überraschung ist, hat uns vor allem das Folgende in den letzten anderthalb Jahren geholfen: Erstens, selbst möglichst schnell ins Machen zu kommen, auch wenn man sich noch in der Strategieentwicklung befindet. Zweitens, mit möglichst vielen ins Gespräch zu kommen – gerade im zivilgesellschaftlichen Bereich teilen andere gerne ihre Erfahrungen und es ergeben sich oft unerwartete Synergien – und drittens, sich konsequent in der eigenen Arbeit und den Aktivitäten zu fokussieren, auch wenn dies bedeutet, gute Ideen und Organisationen, die außerhalb des eigenen Förderschwerpunktes liegen, nicht unterstützen zu können. Das fällt einem natürlich schwer, aber der Fokus hilft dabei, wichtige Erfahrungen und inhaltliche Learnings zu machen und ein dezidiertes Netzwerk in einem Themenfeld aufzubauen, von dem kommende Partner und Projekte maßgeblich profitieren können.
Mein persönliches Highlight ist die sehr vertrauensvolle und konstruktive Kultur des Miteinanders mit Partnern und anderen Stiftungen, die wir seit dem ersten Tag der Stiftungsgründung erleben.
Was kann Ihre Stiftung in den aktuell unruhigen Zeiten für eine Stärkung der Demokratisierung der Gesellschaft beitragen?
Unser Ziel ist es, unserer Partnerorganisationen bei der Entwicklung und Pilotierung neuer Lösungsansätze zu unterstützen – vor allem, um die Medien- und Diskurskompetenz verschiedener Bevölkerungsgruppen zu stärken, sowie Räume zu schaffen, in denen Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven wieder ins Gespräch kommen. Wir hoffen damit einen Beitrag für mehr Zusammenhalt, Toleranz und Dialogfähigkeit in unserer Gesellschaft leisten zu können.
Dabei versuchen wir auch Zielgruppen zu adressieren, die bisher nicht unbedingt im Fokus von bereits existierenden Aktivitäten stehen – so fördern wir zum Beispiel Projekte, über die Menschen außerhalb des schulischen Kontextes mit Bildungsangeboten erreicht werden sollen oder Gesprächsformate in Regionen, in denen die affektive Polarisierung immer spürbarer wird.
Beispielsweise unterstützen wir den Verein “Mehr Demokratie e.V.” dabei, mit dem niedrigschwelligen Dialogformat „Sprechen & Zuhören“ Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus und politischen Lagern in Sachsen-Anhalt zusammenzuführen. Das Ziel ist es, in Kommunen Bürger:innen zu Konfliktthemen wieder ins Gespräch zu bringen und so die Toleranz für die Position anderer sowie ein konstruktives Miteinander zu stärken. Ebenso sind wir Teil einer Förderallianz zur bundesweiten Skalierung der “faktenstark”-Bildungsworkshops, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass Menschen Desinformationen besser begegnen können.
Und zum Schluss: Drei Fragen & Antworten
Welches Buch haben Sie zum Thema Ehrenamt oder Engagement gelesen, das Sie nachhaltig beeindruckt hat?
Das Buch Factfulness von Hans Rosling (2018) erinnert immer wieder daran, den Fokus auf Fakten zu legen und mich nicht von Headlines ablenken zu lassen – denn ein faktenbasiertes Grundverständnis der Ausgangslage ist entscheidend für die Entwicklung von möglichst wirksamen Lösungsansätzen.
Wenn Sie einen Wunsch für den gemeinnützigen Sektor frei hätten, welcher wäre das?
Mehr Wertschätzung für die Menschen, die sich mutig vor Ort im Kleinen für den Erhalt unserer freiheitlichen Demokratie engagieren – gerade in Regionen, wo Angebote im öffentlichen Raum abnehmen und das Gespräch über den Gartenzaun verstummt.
Was möchten Sie unseren Leser*innen mit auf den Weg geben? Was ist Ihr Credo?
Mit Blick auf das heutige Weltgeschehen und die Herausforderungen, vor denen wir als freiheitliche demokratische Gesellschaft stehen, empfinde ich großen Respekt – und es ist auch in Ordnung, mal Angst zu haben – was mich und hoffentlich Euch aber nicht davon abhalten wird, genau diesen Problemen mit Mut, Zuversicht, Kreativität und Tatendrang zu begegnen.

Susanne Kertelge
geschäftsführende Vorständin
Michael Otto Foundation for Sustainability
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