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Aufstehen für die Demokratie: Wann droht der Verlust der Gemeinnützigkeit?

Von Eva Helfenstein


 
Nico Reis

In dieser Rubrik behandeln unsere Partner von der Kanzlei WINHELLER aktuelle Rechtsthemen aus dem Bereich Fundraising, Spenden und Stiftung. Heute: Eva Helfenstein berät am Standort Frankfurt im Nonprofitteam NPO's vor allem zum Gemeinnützigkeits- und Zuwendungsrecht.




 

In offenen Briefen wenden sich Vereine an den Bundeskanzler. Vereine, die auf lokaler oder regionaler Ebene oder gar bundesweit aktiv sind - und sie fordern: Eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, um die bestehenden Unsicherheiten in Bezug auf politisches Engagement zu beseitigen.

Auf der Agenda des Bundeskanzlers war das Thema bereits; die gesetzliche Absicherung des politischen Engagements gemeinnütziger Körperschaften ist ein bisher nicht eingelöstes Versprechen des Koalitionsvertrages der Ampel-Regierung. Am 10.07.2024 wurde der Entwurf des Jahressteuergesetzes II 2024 veröffentlicht, der hierzu erstmals einen Vorschlag liefert.

Doch wann droht der Verlust der Gemeinnützigkeit? Wie konkret ist die derzeitige Gefahr? Und wie viel politisches Engagement ist zu viel politisches Engagement? Wir geben im Beitrag einen Überblick.


Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs seit 2017

Der Einfluss politischer Betätigung auf die Gemeinnützigkeit von Organisationen ist in den letzten Jahren zu einem kontrovers diskutierten Thema geworden. Die Rechtsprechung und Finanzverwaltung haben ihre Beurteilung in diesem Bereich stetig weiterentwickelt, insbesondere durch die wegweisenden Urteile zu BUND und Attac.

Im BUND-Urteil von 2017 (BFH-Urteil vom 20.03.2017, X R 13/15) entschied der Bundesfinanzhof, dass sich gemeinnützige Organisationen durchaus politisch betätigen dürfen, solange dies nicht zum Selbstzweck wird, zur Förderung des gemeinnützigen Satzungszwecks erfolgt, parteipolitisch neutral bleibt und der Rahmen der Rechtsordnung gewahrt wird. Die Attac-Entscheidungen des BFH (BFH-Beschluss vom 10.12.2020, V R 14/20 und BFH-Urteil vom 10.01.2019, V R 60/17) präzisierten diese Linie: Politische Einflussnahme ist zulässig, wenn sie der Verfolgung der steuerbegünstigten Zwecke dient, aber nicht darüber hinausgeht; im Zusammenhang mit den gemeinnützigen (Satzungs-)Zwecken der (Volks-)Bildung und der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens legt der BFH gemeinnützigen Organisationen enge Ketten an: Politische Bildung muss in geistiger Offenheit erfolgen und nicht mit dem Ziel, die öffentliche Meinung oder die politische Willensbildung im Sinne eigener Auffassung zu beeinflussen. Ausnahmen billigt der BFH zu, wenn es um originär bildungspolitische Fragestellungen geht - dafür darf sich eine Körperschaft, die satzungsgemäß die Bildung fördert, auch politisch betätigen.

In der Folge dieser Rechtsprechung wurde mehreren gemeinnützigen Organisationen durch die Finanzverwaltung die Gemeinnützigkeit aberkannt. Fälle mit medialer Aufmerksamkeit waren Kampagnen-Organisationen wie Campact oder change.org sowie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), denen vorübergehend die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Zahlreiche gemeinnützige Organisationen sahen und sehen sich öffentlichen Diskussionen über einen Entzug der Gemeinnützigkeit ausgesetzt, prominente Beispiele sind die Amadeu Antonio Stiftung und die Deutsche Umwelthilfe. Nach einer Umfrage der ZiviZ im Stifterverband stimmten 5 Prozent der Organisationen der Aussage zu, dass sie sich gerne stärker politisch einbringen würden, dabei aber Gefahren für ihren Gemeinnützigkeitsstatus sehen. Insbesondere in den Engagementfeldern Umwelt- und Naturschutz und internationale Solidarität wird diese Gefahr wahrgenommen.


Mögliche Folgen unzulässiger politischer Betätigung

Hintergrund der restriktiven Handhabe politischer Betätigung durch den BFH ist das gemeinnützigkeitsrechtliche Gebot der Ausschließlichkeit – und das Verbot der Parteienförderung. Denn die Parteienfinanzierung ist zur Gewährleistung der Stimmen- und Chancengleichheit anders ausgestaltet als das Spendenrecht und Spenden an Parteien nur bis zu einem geringeren Gesamtbetrag steuerlich berücksichtigungsfähig, um die Stimmen- und Chancengleichheit zu wahren.

Das gemeinnützigkeitsrechtliche Ausschließlichkeitsgebot regelt, dass eine Körperschaft ihre Mittel ausschließlich für die satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecke verwenden darf. Das bedeutet zum einen, dass die Mittel der Körperschaft nicht für andere als die satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecke verwendet werden dürfen (von diesem Gebot gibt es Ausnahmen, z.B. bei Mittelweiterleitungen nach § 58 Nr. 1 AO, die auch zur Förderung nicht identischer Zwecke erfolgen dürfen); zum anderen bedeutet es, dass die Mittel nicht für „nicht gemeinnützige“ Zwecke verwendet werden dürfen. Politik ist jedenfalls kein anerkannter gemeinnütziger Zweck – ein politisches Engagement, das nicht dem Satzungszweck dient, ist mithin ein Verstoß gegen das Ausschließlichkeitsgebot – die hierfür verwendeten Mittel sind falsch verwendet.

Ein Verstoß gegen das Ausschließlichkeitsgebot stellt einen Verstoß gegen die Anforderungen an die tatsächliche Geschäftsführung dar (§ 63 Abs. 1, Abs. 2 AO). Verstöße gegen die Pflichten aus § 63 Abs. 1 AO können zur Versagung der Steuerbegünstigung führen. Dies bedeutet, dass die Körperschaft ihren Status als gemeinnützige Organisation verlieren kann. Darüber entscheidet zunächst die Finanzverwaltung, die die Rechtsprechung des BFH im Anwendungserlass zur Abgabenordnung umsetzt.

Allerdings führt nicht jeder Verstoß automatisch zum Verlust der Gemeinnützigkeit. Die Rechtsfolgen müssen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Würdigung des Gesamtverhaltens der Körperschaft und der Schwere des Verstoßes beurteilt werden. Eine Versagung der Gemeinnützigkeit setzt voraus, dass Art und Schwere der Pflichtverletzung das Handeln der Körperschaft nicht mehr als ausschließlich auf die Erfüllung gemeinnütziger Zwecke gerichtet erscheinen lassen. Ein schwerer Verstoß gegen die tatsächliche Geschäftsführung im Gemeinnützigkeitsrecht liegt beispielsweise vor, wenn eine überwiegende Förderung von Einzelinteressen statt der Allgemeinheit stattfindet, bei Verstößen gegen die verfassungsmäßige Ordnung, bei Steuerverkürzung, wenn ein Steuerschaden entsteht oder der Nachweis ordnungsgemäßer Mittelverwendung nicht erbracht werden kann. Bei schweren Verstößen kann die Aberkennung der Gemeinnützigkeit und damit der Wegfall der Steuerbegünstigung bis zu 10 Jahre rückwirkend erfolgen.


Reformbestrebungen und Fazit

Der nunmehr veröffentlichte Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes II sieht eine Erweiterung des § 58 AO um eine Nummer 11 vor, mit folgendem Inhalt: „[Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass, [………]] 11. eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt.

Der Regelungsvorschlag entspricht - mit Ausnahme eines einzelnen Wortes - der aktuell geltenden Verwaltungsanweisung der Finanzverwaltung im Anwendungserlass zur Abgabenordnung. Dort wird statt „gelegentlich“ der Ausdruck „vereinzelt“ verwendet (AEAO zu § 52 Nr.16 am Ende). Wie „vereinzelt“ in diesem Sinne auszulegen ist, wurde bisher der Interpretation des jeweiligen Finanzamtes überlassen. Eine wesentliche Veränderung der Ausgangssituation nimmt der Gesetzesentwurf durch die Ersetzung von „vereinzelt“ durch „gelegentlich“ jedenfalls nicht vor. Auch Rechtsklarheit schafft die vorgeschlagene Regelung nicht; was „gelegentlich“ in diesem Kontext bedeutet, bleibt gleichermaßen der Auslegung des Rechtsanwenders überlassen. In der Begründung zum Entwurf wird ausgeführt, dass „gelegentlich“ nicht bedeute „sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu politischen Themen zu äußern. Die Äußerungen müssen aufgrund eines besonderen Anlasses erfolgen und der steuerbegünstigten Zweckverfolgung untergeordnet sein. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung zugrunde zu legen. Unter diesen Voraussetzungen kann es auch noch unschädlich sein, wenn es aufgrund eines besonderen Anlasses zu wiederholten Äußerungen über einen Zeitraum von mehreren Wochen kommt.

Der Koalitionsvertrag verspricht eine gesetzliche Klarstellung, dass sich gemeinnützige Organisationen innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen und gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen können, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Diese Ziele dürften durch den vorgelegten Entwurf jedenfalls noch nicht erreicht sein.

Bis auf Weiteres verbleibt es also dabei, dass gemeinnützige Organisationen, die sich politisch positionieren möchten, dies stets im Rahmen und mit dem finalen Ziel der Förderung ihrer satzungsgemäßen gemeinnützigen Zwecke tun sollten. Außerhalb der satzungsgemäßen Zwecke bleibt die vereinzelte, gegebenenfalls künftig die „gelegentliche“ Stellungnahme zu tagespolitischen Themen ohne Auswirkungen auf die Steuervergünstigung. Jedenfalls sollte in jeder gemeinnützigen Organisation ein Bewusstsein für den richtigen Umgang mit Politik geschärft werden. Eine private Meinungsäußerung sollte auch ausdrücklich kontextualisiert werden. Klar sollte auch sein, wer für die Organisation offiziell sprechen darf. Gerade in Wahlkampfzeiten ist Zurückhaltung geboten. Hier sollten insbesondere keine Politiker eingeladen oder diesen ein Forum für Parteipolitik geboten werden.

Das Bedürfnis gemeinnütziger Organisationen, die Demokratie aktiv zu fördern und sich klar gegen diejenigen zu positionieren, die sie bedrohen, ist nachvollziehbar, aber in der aktuellen rechtlichen Situation heikel. Eine sorgfältige Formulierung der öffentlichen Äußerungen bleibt daher angeraten – dabei sollte die Werte- und Zweckorientierung der Körperschaft in den Vordergrund gerückt werden.

Hinter dem Ausschließlichkeitsgebot steht letztlich das legitime Interesse des Staates, Steuervergünstigungen nur für gemeinwohlorientierte Zwecke zu gewähren und eine klare Abgrenzung zu der Arbeit der politischen Parteien einzuhalten. Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen diesem, und dem Bedürfnis der Zivilgesellschaft zu finden, sich in den demokratischen Diskurs einzubringen.

 


Stephanie Reuter

Eva Helfenstein

Rechtsanwältin

Kanzlei WINHELLER

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