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Amal Abbass im Gespräch mit Dr. Anna Punke-Dresen

Wer steckt hinter dieser neuen Rubrik und was möchte sie für einen Mehrwert bieten?

Portraits über Menschen im gemeinnützigen Bereich findet man auch an anderer Stelle. Wir erinnern uns zum Beispiel an die „Köpfe“ in der Stiftungsbeilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit dieser Rubrik „Mensch des Monats“ möchten wir Menschen hinter einer Führungsposition besser kennenlernen. Dafür hat Dr. Anna Punke-Dresen diese Rubrik ins Leben gerufen.


Anna Punke-Dresen ist selbst seit über 15 Jahren in diversen Funktionen und Kontexten sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich im gemeinnützigen Sektor unterwegs - unter anderem als stellvertretende Leiterin des Kreises Junge Menschen und Stiftungen, Community Lead für MentorMe, Vorständin von Hamburger mit Herz e.V. und seit 2023 Leitung Fundraising der Abteilung Engagement & Partnerschaften bei der Hamburger Kunsthalle in Doppelspitze.


Schreiben und gemeinnütziges Engagement sind die beiden Pfeiler, die ihren Werdegang prägen.

Mit dieser monatlichen Rubrik möchte sie einige spannende Personen aus ihrem Netzwerk in persönlichen Gesprächen fragen, wie und warum sie sich selbst im gemeinnützigen Bereich engagieren. Welche Ehrenämter werden zusätzlich zum Hauptamt gepflegt? Was treibt sie dazu an? Was bedeutet Engagement für sie und welche Learnings und Botschaften bringt das für sie mit?

 
Carola von Peinen

Amal Abbass ist Trägerin des Berliner Frauenpreises 2023 und organisiert mit ihrem «tubman.network» seit Kriegsbeginn im Februar 2022 umfassende Hilfsangebote insbesondere für Frauen, die aus der Ukraine fliehen mussten und dabei auf vielfältige, auch rassistisch motivierte Widerstände und Diskriminierungen stoßen, die ihnen das Ankommen in Deutschland erschweren.

 

Liebe Amal, ich möchte in dieser Rubrik jedem*r Interviewpartner*in die gleiche Einstiegsfrage stellen: Wann und wo hast Du Dich zum allerersten Mal ehrenamtlich engagiert? Wie kamst Du dazu und was war Deine Motivation dahinter?


Ich wurde in Dresden geboren. Als Kind afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft erfuhr ich von früh an Diskriminierung. Ich war mit dem Gefühl des Ausschlusses und der ungerechten Behandlung vertraut. So habe ich mich frühzeitig für andere eingesetzt, sobald ich Ungerechtigkeiten bemerkte. Zusätzlich kümmerte ich mich um alle Pflanzen im gesamten Schulgebäude. Während der Pausen goss ich sie täglich, denn sie gaben mir Sicherheit, im Gegensatz zu den Schikanen auf dem Schulhof.

Im Alter von etwa 13 Jahren habe ich eine Kinderdemo gegen den Golfkrieg organisiert. Mein Ziel war es, alle Kinder aus den Schulen meiner Stadt zusammenzubringen und gemeinsam gegen den Krieg zu protestieren. Die Aktion war ein großer Erfolg. Während der Demo habe ich mich spontan dazu entschlossen, auf einen Anhänger zu steigen und vor der jungen Menge zu sprechen. Es hat mich ein wenig schockiert, mein Bild am nächsten Tag in der Zeitung zu sehen.


Du setzt Dich seit Jahren als Sozialunternehmerin für die Gleichstellung von Frauen ein, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität benachteiligt werden. Ich habe ein Zitat dazu gefunden: „Schon in den 1990er Jahren hat Amal Abbass Debatten über Rassismus, Queerfeindlichkeit und Sexismus ausgelöst und sich zivilgesellschaftlich engagiert (…) und trägt mit ihren Netzwerken aktiv zu mehr Gleichberechtigung in der Stadt bei“, so Grünen-Politikerin Ulrike Gote. Magst Du unseren Leser*innen kurz erzählen, wie Du zu diesem Thema gekommen bist und wie Dein Weg seit Beginn verlaufen ist?


Als junges Mädchen wuchs ich isoliert in der DDR auf und wurde aufgrund meiner Nicht-Zugehörigkeit zur Staatspartei diskriminiert, da meine Eltern in der Kirche waren. In meiner Kindheit lernte ich andere schwarze Menschen nur in Büchern kennen oder sah sie als Gastarbeiter*innen und Student*innen des sozialistischen Regimes.

Mit meinem heutigen Engagement folge ich den Spuren von Frauen wie meiner verstorbenen Großmutter Zeinab und meiner Tante Fatima Ahmed Ibrahim, einer der Gründer*innen der Sudanesischen Frauenunion. Fatima wurde im Jahr 1965 das erste weibliche Mitglied des sudanesischen Parlaments. Ähnlich wie sie wurde auch ich als erste Schwarze Frau Vertreterin zivilgesellschaftlicher Organisationen in der lokalen strategischen Partnerschaft in Hastings, UK. Ihr Ehemann wurde vom Militärregime gefoltert und ermordet, während sie selbst verhört und zu zweieinhalb Jahren Hausarrest verurteilt wurde. Ihre unermüdliche Arbeit im Bereich der Menschenrechte wurde im Jahr 1993 mit dem Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen für die sudanesische Frauenunion gewürdigt. Zusätzlich erhielt sie am 8. Dezember 2006 den Ibn-Rushd-Preis in Berlin für ihr Engagement im Kampf für Frauenrechte, Meinungsfreiheit und soziale Gerechtigkeit im Sudan.

Diese bemerkenswerten Frauen sind in schwierigen Zeiten in meinen Träumen erschienen, um mir zu zeigen, dass ich nicht allein bin und um mich dazu zu ermutigen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Neben ihrem Einfluss habe ich während meiner Kindheit und Jugendzeit durch umfangreiches Lesen die Stimmen von Alice Walker, Toni Morrison, Assata Shakur, Isabel Allende, und vielen anderen geliebt. Als junge Frau hatte ich die Möglichkeit, Menschen wie May Ayim und Tsitsi Dangarembga persönlich zu treffen und bei der Zusammenarbeit persönliche Erfahrungen auszutauschen und zu reflektieren. Besonders bewegend war das gemeinsame Gedenken an Audre Lorde, das nicht nur mich in der schwarzen Frauenbewegung tief berührt hat. Diese Autorinnen begleiteten und prägten meinen Weg der Selbstfindung als junge queere Frau.

Als Kinder-, Jugend- und Psychotherapeutin und Sozialberaterin erlebe ich täglich die Folgen der Diskriminierung, mit denen Frauen in Deutschland noch immer konfrontiert sind: struktureller Alltagsrassismus, Homophobie, Islamophobie, Sexismus, Ableismus, Klassismus und viele andere Herausforderungen. Zusammen bringen wir verbale, körperliche und sexuelle Gewalt und Missbrauch zur Sprache, zusammen wehren wir uns gegen begrenzende Stereotypen, die unserem wahren Sein nicht entsprechen. Ich selbst habe Therapeuten gegenübergesessen, die Tränen für mich vergossen haben und kaum in der Lage waren, die zahlreichen Traumata, die ich erlebt habe, anzuhören. Und doch sind wir alle auf dieser einen Erde miteinander verbunden und teilen ein gemeinsames Schicksal. Wahre Freiheit kann für einen Einzelnen nicht existieren, solange nicht alle frei sind. Deshalb setze ich mich dafür ein, Generationen von Frauen zu fördern und zu unterstützen, um eine Zukunft zu schaffen, in der wir einander umarmen, heilen und wachsen können.


Was waren die größten Herausforderungen und die größten Glücksmomente?


Die Geburt und Gegenwart meiner eigenen Kinder, Pflege- und Enkelkinder sowie der schwarzen Kinder, mit denen ich arbeite, sind für mich die glücklichsten Momente meines Lebens. Es bleibt jedoch eine Herausforderung, dass meine Arbeits- und Lebensrealität mich oft zu viele Stunden von dem Privileg fernhält, gemeinsam zu lachen und das Leben miteinander zu genießen.

Bei einem unserer wöchentlichen Treffen, die wir speziell für Kinder und Jugendliche organisieren, die von Rassismus betroffen sind, habe ich die Kinder gefragt, warum wir uns regelmäßig treffen. Die Antwort eines kleinen Mädchens hat mich sehr berührt: "Wir treffen uns, weil wir uns liebhaben."

Als Frauen afrikanischer Herkunft stehen wir vor großen Herausforderungen wie dem Überleben und der Verarbeitung lebensbedrohlicher und traumatischer Situationen aufgrund von Rassismus, sexuellem Missbrauch sowie psychischer und physischer Gewalt. Leider ist es trotz bestehender Gesetzgebung immer noch alltäglich, dass schwarze Frauen Gewalt erleben. Besonders besorgniserregend ist der Einfluss von Rassismus und Machtmissbrauch in Jugendämtern, Familiengerichten, bei Sachverständigen, in Schulen, Kindergärten und in der eigenen Nachbarschaft.


Du hast nun den Berliner Frauenpreis 2023 bekommen. Was genau macht das Tubman Network, welche Projekte habt ihr zurzeit und wie schaut Dein Arbeitsalltag dabei aus?


Das tubman.network bietet nach wie vor eine Art „Bereitschaftsdienst“ für Menschen, die vor dem Ukraine-Krieg und anderen Kriegen geflohen sind. Das heißt, wir stehen an sieben Tagen in der Woche zur Verfügung und bieten darüber hinaus wöchentliche Angebote wie psychosoziale Beratung, Empowerment-Workshops, Praktika in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin, die Entwicklung diskriminierungssensibler Vermittlung von Unterkünften und Kindertagesstätten (in denen schwarze Kinder sich selbst als Mehrheit erleben dürfen) sowie Unterstützung bei der Jobsuche. Wir setzen uns auch für die Stärkung der Kapazitäten von Schwarzen Künstler*innen, Aktivist*innen und migrantischen Organisationen ein, die sich für das Wohl und die Rechte von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft engagieren.

Als Geschäftsführung fängt mein Arbeitstag um 8 Uhr morgens an. Ich versuche, meine Kolleg*innen so gut wie möglich zu unterstützen, damit wir innovative und kreative Arbeit leisten können, um den zahlreichen Menschen zu helfen, die sich an uns wenden.

Oft arbeite ich bis spät nachts und auch viele Wochenende durch, weil so viele Menschen um Hilfe bitten, die sie nirgendwo anders finden. In meinem Arbeitsalltag begegne ich einer Vielzahl von Menschen und Organisationen, und es ist meine Aufgabe, gemeinsam mit meinem Team Lösungen zum Wohle aller Beteiligten zu entwickeln.


Was hat sich seit der Preisverleihung für Dich verändert, kannst Du auf mehr Unterstützung zählen? Und was sind die nächsten Schritte für Dich?


Sowohl Unternehmen als auch der Staat können Antirassismus durch Gesten betreiben, ohne dass dies den Rassismus tatsächlich verringert. Darum betrachte ich den Preis mit gemischten Gefühlen. Ich bin mir bewusst, dass zahlreiche Frauen vor und neben mir diesen Preis verdient haben, wie zum Beispiel Phillipa Ebene, die den Karneval der Kulturen zum Erfolg gebracht hat oder Rachel Nangally von Source d’Espoir. In dem durch Amin Müller gedrehten Film "Auf der Suche nach Schutz" habe ich deutlich gemacht, warum Netzwerke wie unseres, das aus etwa 400 schwarzen Familien besteht, sichere Begegnungsorte mit struktureller Finanzierung benötigen. Wir bieten Kindern Schutzräume, um ihre frühkindliche Entwicklung und eine gesunde Identität zu fördern. Ich wünschte mir, dass sich mehr Menschen aus der Politik und Geldgeber*innen bei uns melden würden, um diese Ziele in die Realität umzusetzen.

Was den Preis angeht, habe ich aber auch viel positives Feedback von tausenden Mitstreiter*innen, Kindern und Jugendlichen erhalten. Für sie symbolisiert der Preis eine tiefergehende Anerkennung und Bestätigung unserer gemeinsamen Arbeit. Ich bin dankbar für die Sichtbarkeit, auch in diesem Forum.


Welche Netzwerke und Kooperationen sind für Deine Arbeit wichtig?


Die Verbindung mit 900 afrikanischen Vereinen in Deutschland in unserer Zusammenarbeit mit „TANG e.V.“, die Kollaboration mit „Bantu e.V.“, „Afrikavenir e.V.“ und „Sources d‘Espoir e.V.“ aber auch die Verbindung mit zahlreichen Projekten und Organisationen auf dem afrikanischen Mutter-Kontinent, wie z.B. „FoJanga“ in Gambia oder „Kindezi“ in Angola.

In der Vertiefung und Verbindung von pre-kolonialen Weisheiten und der Verwirklichung von afro-futuristischen Zielen arbeiten wir auch gerne mit Allies, weißen und POC-Organisationen, die auf gleichwertige Partnerschaften achten. Der Prozess, sich mit Privilegien, Machtpositionen und kritischem Weiß-Sein auseinanderzusetzen, ist eine schmerzhafte Herausforderung, die Menschen und Organisationen im ersten Schritt aus ihrer Komfort-Zone bringt. Dieser Prozess wird aber reichlich belohnt, wenn die Früchte radikaler Inklusion reifen können. Das Adinkra Symbol Sankofa beschreibt den Prozess eines Vogels, der seinen eigenen Schwanz beißt und symbolisiert so die Wichtigkeit, zurück zu unseren Wurzeln zu gehen, einschließlich unserer kolonialen Vergangenheit, um bewusst und ohne Verdrängung auf eine gemeinsame Zukunft ohne strukturellen Rassismus hinzuarbeiten.


Du bist bei all Deinen Tätigkeiten auch geprägt durch Deine eigene Herkunft. Was wünschst Du Dir als nächste Schritte auf gesellschaftspolitischer Ebene, um hinsichtlich Diskriminierung und Rassismus deeskalieren zu können?


Ich bin eine queere Frau sudanesisch-deutscher Herkunft. Zur Zeit des Ukraine Krieges habe ich die Initiative ergriffen, um mit zahlreichen anderen mehr als 4.000 Geflüchtete mit Unterkunft und weiterer Unterstützung zu versorgen, in einer Zeit der Überforderung unserer Behörden. Am 15. April 2023 brach der Krieg im Sudan aus. Bisher hat sich trotz wiederholter Aufrufe außer anderen Sudanesen in Deutschland noch niemand engagiert, um die Mitglieder meiner eigenen Familie und andere marginalisierte Menschen in Sicherheit zu bringen, medizinische Versorgung zu leisten, um diesen Menschen eine Zukunft zu gewähren. Ich rufe Bundestagsabgeordnete, andere Politiker*innen und die Zivilgesellschaft auf, aktiv auf die Evakuation von sudanesischen und anderen vom Krieg betroffenen Zivilisten hinzuwirken. In Deutschland mangelt es in vielen Bereichen an Fachkräften. Besonders im Bereich von Bildung, Gesundheitswesen, IT, erneuerbare Energien und Wissenschaft hoffen wir auf die Möglichkeit, bundesweite Brücken zu bauen.

Es wäre gut, wenn der gemeinnützige Bereich das Thema Rassismus in Zukunft stärker auf dem Schirm hat. Dekolonisation von Migration und Entwicklungszusammenarbeit, Ressourcen und Strategien, die Strukturellen Rassismus nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis entgegenwirken, all das braucht es, um ungerechte Strukturen langfristig zu ändern. Außerdem sind die Finanzierung von diskriminierungssensiblen Orten und die Förderung der Repräsentanz von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft in Führungspositionen, die als Vorbilder und Schlüsselfiguren Wege und Möglichkeiten für die zukünftige Generation aufzeigen, sehr wichtig.

 

Und zum Schluss: Drei Antworten in je einem Satz!


Welches Buch hast Du bzgl. Ehrenamt oder Engagement gelesen, das Dich nachhaltig beeindruckt hat?

Malidoma Patrice Somé: The healing wisdom of Africa

Marise Conde: Segu

Tupoka Ogette: Exit Racism


Wenn Du einen Wunsch für den gemeinnützigen Sektor frei hättest, welcher wäre das?

Mein Wunsch ist, dass der gemeinnützige Sektor radikale Inklusion priorisiert und sich aktiv einsetzt gegen die bewusste und unbewusste strukturelle Ausgrenzung von Schwarzen Menschen. Auch wünsche ich mir, dass wir gemeinsam auftreten gegen die Tendenz sich gegenseitig auszuspielen, statt gemeinsame Kapazitäten aufzubauen. Außerdem wünsche ich mir, dass Berlin mehr Städtepartnerschaften mit dem afrikanischen Kontinent, mit Städten wir beispielsweise Luanda, Jaune, Dadoma oder Accra aufbaut, um so in einen gleichwertigen Austausch zu kommen.


Was möchtest Du unseren Leser*innen mit auf den Weg geben? Was ist Dein Credo?

Grundlegende Gleichstellung in die Praxis umsetzen, Antirassismus und Dekolonisation implementieren.

 
Carola von Peinen

Amal Abbass

Geschäftsführerin

tubman.networks

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